B. Bietenhard u.a.: Geschichte der theologischen Fakultäten der Universität Bern

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Titel
Geschichte der theologischen Fakultäten der Universität Bern 1834–2001.


Autor(en)
Bietenhard, Benedikt; Blaser, Stefanie
Erschienen
Zürich 2020: Theologischer Verlag Zürich
Anzahl Seiten
516 S
Preis
CHF 64.00
von
Romano Mombelli

Der Werktitel wirft bei fachfremden Lesern und Leserinnen wohl zunächst die Frage auf, wieso von theologischen Fakultäten – in der Mehrzahl – gesprochen wird. Bietenhard erklärt bereits im Vorwort des Buches, weshalb er und seine Mitautorin sich dafür entschieden haben, nicht nur die Geschichte der evangelisch-theologischen, sondern auch der christkatholisch-theologischen Fakultät zu berücksichtigen. Bietenhard und Blaser fokussieren bei der Darstellung der beiden theologischen Fakultäten der Universität Bern nicht auf die Arbeit der dort tätigen Dozenten und Dozentinnen, und es werden weder deren Publikationen referiert noch der Wandel von Theologie reflektiert, sondern die Geschichte der beiden Institutionen wird von ihren politischen Aspekten her angegangen und chronologisch nachgezeichnet – von der Gründung der Universität Bern mit ihrer Vorgeschichte bis zur Zusammenlegung der beiden Fakultäten zu Beginn der Jahrtausendwende.

In welchem Ausmass das Bildungswesen staatlich beeinfusst wurde, zeigen die Autorin und der Autor anhand der Vorgängerinstitutionen der Universität Bern, der Hohen Schule von 1528 und der Akademie von 1805, in einem gerafften Kapitel auf. Für die Stadt Bern «war Bildung nie Selbstzweck, sondern diente einerseits dem Ruhme der Stadt und andererseits der diplomatischen und verwaltungstechnischen Ausbildung des Politikers». (S. 15) Obwohl 1834 eine Universität gegründet wurde, begnügte man sich in Bern, anders als in anderen Kantonen, mit der Selbstbezeichnung «Hochschule», weil zum einen ausser für das Theologiestudium keine Maturität vorausgesetzt wurde. So hiess auch die betreffende Gesetzgebung, die nach zwei Lesungen innert nur zehn Tagen im Grossen Rat behandelt und am 14. März 1834 genehmigt wurde, «Hochschulgesetz». Der Begriff der Hochschule verband zum anderen die neu gegründete Institution mit der Hohen Schule der vorrevolutionären Zeit, die ehemals die Funktion einer Fachhochschule für Pfarrer erfüllte. Bei der Eröffnung der Hochschule zählte die Institution rund 187 immatrikulierte Studierende, wovon sich 35 Studenten dem Theologiestudium widmeten, was der evangelisch-theologischen Fakultät ein gewisses Gewicht verlieh. Die Gründung der christkatholischen Fakultät vierzig Jahre später war mit politischen Hintergedanken der liberalen Regierung im 19. Jahrhundert verbunden, denn das Ziel der Fakultät sollte darin bestehen, den römischen Katholizismus von der Bundesstadt aus zu modernisieren. Sie nahm den Vorlesungsbetrieb am 3. November 1874 auf, nachdem der Grosse Rat ihre Errichtung nach längerer Debatte genehmigt hatte.

War die höhere Frauenbildung auch Bestandteil der liberalen Modernisierungsprozesse? Die Liberalen sowie auch ihre konservativen Gegner hatten zunächst kaum ein offenes Ohr dafür. Nachdem die Städte Zürich (1867) und Genf (1872) mit gutem Beispiel vorangegangen waren, öffnete die Berner Regierung mit dem Reglement vom 11. Februar 1874 den Frauen den Zugang zum Universitätsstudium. Doch mussten die Frauen einen regelrechten Hürdenlauf meistern, bis sie die Türen eines Hörsaals erreichten, denn sie benötigten entweder eine beglaubigte Bewilligung ihres Rechtsvertreters oder mussten vorweisen können, dass «sie sich im Zustand des eigenen Rechts befinden». (S. 128) Zudem stellten die damaligen Vorbildungsmöglichkeiten für Frauen ein weiteres Hindernis dar, denn erst 1894 wurde ihnen der Eintritt ins städtische Gymnasium Bern erlaubt. Zwischen 1920 und 1960 lag der Frauenanteil der immatrikulierten Studierenden bei rund zehn Prozent. Obwohl Frauen das Amt der Pfarrerin lange verwehrt blieb und sie nur als Pfarrhelferinnen dienen durften, fachte die grundsätzliche Debatte über die Eignung der Frauen zum akademischen Beruf lange nicht ab, und die Forderungen der Theologinnen waren eher bescheiden. Mitte der 1960er-Jahre konnten Frauen in der reformierten Kirche den Zugang zum vollen Pfarramt erlangen, und die Bastionen der Männervorherrschaft gerieten auch an den theologischen Fakultäten allmählich ins Wanken. Trotzdem wurde die erste Frau, Susanne Heine, erst 1990 auf den Lehrstuhl für praktische Theologie der Universität Zürich berufen.

1972 griff die bernische Regierung das letzte Mal in das Berufungsverfahren zur Besetzung eines theologischen Lehrstuhls ein. Die evangelisch-theologische Fakultät stellte sich damals geschlossen gegen die Regierung, die sich aus rein politischer Motivation weigerte, den Kandidaten der Fakultät auf den Lehrstuhl zu berufen. Der Staat fällte aber weiterhin richtungsweisende Entscheidungen, welche die Fakultäten direkt betrafen. Das neue Universitätsgesetz vom 5. September 1996 verlieh dem Grossen Rat des Kantons Bern die Kompetenz, abschliessend über die Schaffung und die Aufhebung von Fakultäten zu befinden, während diese nach bisheriger Gesetzgebung dem Referendum unterstellt waren. Auf Antrag der bernischen Regierung fasste der Grosse Rat den Entschluss, die Universität neu in sieben Fakultäten – fünf grosse und zwei kleine, nämlich Veterinärmedizin und Theologie, – zu unterteilen, was die Fusion der beiden theologischen Fakultäten auf das Herbstsemester 2001 bedeutete. So beendete der Grosse Rat die Selbstständigkeit der kleinsten Fakultät gegen den Willen von Universität und beteiligten Kirchen. Die altkatholische Kirche verlor ihre einzige universitäre Fakultät mit internationaler Ausstrahlungskraft – ein politisches Armutszeugnis. Blasers und Bietenhards Werk bietet durch eine breite Quellenbasis – Fakultätsprotokolle, Protokolle des Regierungsrates, unpublizierte Erinnerungen sowie biografische Aufzeichnungen – einen reichen Erkenntnisgewinn. Zum einen sind es die sorgfältige Quelleninterpretation und -kritik, die dem Buch einen besonderen Reiz verleihen. Die personenbezogenen Texte, «Intermezzi» genannt, lockern die teils inhaltsschwere Lektüre auf. Die akribische Arbeit wird durch einen ausführlichen Anhang mit Informationen zu Personen und Lehrstühlen sowie mit Statistiken der beiden Fakultäten ergänzt. Das Buch ist eine Pflichtlektüre für Theologiestudierende, ein «Must-have» für Theologen und Theologinnen und ein «Nice-to-have» für Historiker und Historikerinnen.

Zitierweise:
Romano Mombelli: Rezension zu: Bietenhard, Benedikt; Blaser, Stefanie: Geschichte der theologischen Fakultäten der Universität Bern 1834–2001. Zürich: Theologischer Verlag Zürich. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 1, 2022, S. 46-48.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 1, 2022, S. 46-48.

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